Rockharz Open Air 2024
06.07.2024 [ama/sh] Trotz des steten Wachstums des Rockharz Open Airs, konnte sich das Festival sein familiäres Flair erhalten. Die Zusammenkunft am Fuße der Teufelsmauer, im Zeichen von markerschütternden Growls, reinstem Klargesang, melancholischen Darkrock bis hin zu mittelalterlichen Tönen, ist Heimat, Alltagskiller und Herzöffner. Es ist die überwiegend schwarzgewandete Masse mit Mut zum Plüscheinhornoverall, die sich findenden Gemeinschaften des Wanderns und der Rockharz Runners, es sind Projekte wie „Glück in Dosen“, „Kultur für Alle“ oder „Rock´n´Recycle“, auch Kunst und Artwork und nicht zu vergessen, die zahlreichen Helferlein hinter, auf und vor der Bühne. Kein Wunder, dass der Ticketausverkauf von Jahr zu Jahr früher verkündet werden kann. So hieß es bereits kaum 6 Wochen nach Verkaufsstart „sold out“. Einfach Wahnsinn!
Die Dienstaganreise hat sich in den vergangen Jahren etabliert. Während die Auffahrt auf das Gelände trotz Regens recht unproblematisch lief, waren die kilometerweiten Schlangen an den Zufahrtwegen dagegen schon eine Herausforderung. Einmal angekommen, nutzt das Gros an Festivalbesuchern die Frühanreise gern um das Camp herzurichten, die Teufelsmauer zu erstürmen, den Merchstand zu plündern oder mit Freunden zu feiern.
Mittwoch. Das Infield öffnete seine Türen mit englischer Pünktlichkeit um 15 Uhr. Bereits frühzeitig warteten die Besucher vorfreudig zu Hunderten an den Schleusen, dem Drang folgend, das jungfräuliche Gelände, den heiligen Acker als Erstes zu betreten. Angesichts meiner spanischen Wurzeln ähnelte die Szenerie einem in die Arena gejagtem Stier.
Die aus Reykjavik stammenden Power Paladin brachen mit ihrem Power Metal das Eis auf der Rockstage. Die jungen Isländer zelebrierten mit Energie und Dynamik kristallklaren Metalsound.
Gutalax sorgten anschließend mit lustig-knarrzigem Goregrind bei ihrer Rockharz-Premiere für ausgelassene Partystimmung und jeder Menge fliegender Toilettenpapierrollen, während die Winkelemente, des in weiße Ganzanzüge gehüllten Publikums, hauptsächlich aus WC-Bürsten bestand. Eine aufblasbare Sexpuppe tanzte ebenfalls im Takt, der erste Moshpit des Tages bildete sich, die Wall of Death verpasste den Einsatz und den immerbereiten Grabenschlampen flog ein Crowdsurfer auf crowdsurfendem Müllcontainer entgegen. Hierfür gabs erste Anerkennung von Frontman Maty, aber auch den humoristischen Hinweis, dass eine volle Tonne doch wesentlich cooler gewesen wäre.
Die unerschrockenen Krieger, wie auch die Schildmaid von Brothers of Metal schlugen eine epische Viking-/Power-Metal Schlacht und huldigten des Drummers „Powersnake“. Mit „Fimbulvinter“ steht bald auch ihr drittes Studioalbum in den Startlöchern, welches im November Release feiern. Weiter ging es mit treibenden Melodien und rockigen Riffs, mit denen Wolfgang Van Halens Solo-Projekt, Mammoth WVH, die Crowd anheizten und das Infield zum Kochen brachten.
Mit Kärbholz galt es nun die Deutschrockfans auf Touren zu bringen. Unbeirrt der auftretenden technischen Soundprobleme, zogen sie die Stimmungsschraube hart an und die Fans verwandelten ihre Energie in einen gewaltigen Circle- und Mosh Pit. Callejóns aggressiver Metalcore zündete ebenfalls druckvoll und machte ordentlich Dampf im Kessel, sodass die Surfer sich vermehrt in die Crowd stürzten und nun auch wieder ein Rollifahrer die Welle ritt.
Mit „The Mandrake Project“ steht seit Anfang März das siebte Soloalbum des Iron Maiden Sängers, Bruce Dickinson, in den Regalen. Auch der Auftritt auf dem Rockharz stand unter diesem Motto, doch die Setlist ließ einen repräsentativen Querschnitt seines solistischen Wirkens zu. Bereits der Opener „Accident of Birth“ verdrängte jegliches wetterbedingte Kältegefühl und brachte das Infield zum Kochen. Auch im reifen Alter von 65 Jahren ist Bruce Dickinsons Einzigartigkeit seiner Stimme unverkennbar. Sein Bewegungsdrang, immens. Seine Energie, ansteckend. Songs wie „Abduction“, „Laughing in the Hiding Bush“ oder das aktuelle „Afterglow of Ragnarok“, wie auch die Coverversion des legendären Iron Maiden Titels „If Eternity Should Fail“ vom 2015er Album „The Book of Souls“ ließen keine Zeit zum Luft holen. Die Stimmung kochte, die Hände streckten sich gen Himmel und die Köpfe rotierten. „Scream for me Rockharz!“ tönte es von der Bühne und davor erschallte die entsprechende Antwort darauf, die den Acker zum Beben brachte. Ein erhabener Auftritt und ein wahrer Höhepunkt der diesjährigen Rockharzausgabe.
Udo Dirkschneider, der deutsche Senior des Heavy Metals enterte anschließend mit seinen Accept Klassikern die Bühne. „Princess of the Dawn“, „Restless and Wild“ und ohne die pure Essenz vom Heavy Metal zu vernachlässigen, schlich sich der Klang von „Metal Heart“ in den Venen direkt in die Seele. Es ging nicht darum romantisch zu werden, sondern eher nostalgisch. Auch durften „Fast as a Shark“ und „Balls to the Wall“ auf keinen Fall fehlen, die schlussendlich das Set beschlossen und Platz für die Finnen Amorphis machten.
Im Gegensatz zum gespielten Death Metal des Tages, ließen die Nordländer den Abend melodisch mit Spuren von Melancholie ausklingen. Sänger Tomi Joutsen sorgte mit seinem tiefen und klaren Gesang für ein erhabenes Klangbild. Die funktionierende Nebelmaschine unterstrich zudem die düstere Atmosphäre. Klassiker wie „Black Winter Day“ und „House of sleep“ hallten durch die Nacht und „The Moon“, „Wrong Direction“ und der Ohrwurm „The Bee“ luden zum lautstarken Mitsingen ein. Mit Kanonenfieber schlussendlich fand der erste Festivaltag einen ausdrucksstarken wie inhaltsschweren Abschluss.
Donnerstag. Nach einem reichhaltigen Frühstück starteten wir den zweiten Festivaltag mit Hammer King aus Kaiserslautern. Offensichtlich war ich nicht die einzige, die am Morgen Bock auf epischen Heavy/Power Metal hatte, denn das Infield war bereits sehr gut gefüllt. Die in 2015 gegründete Band präsentierte ihr neues Album „König und Kaiser“, getreu dem Motto „Make Metal Royal Again“. „ Hammerschlag“, „Hail 2 3 4 „ oder „Kingdom of Hammers and Kings“, die Massen gingen mit und ließen die Köpfe kreisen. Diese Band ist eine klare Empfehlung für Fans von Manowar und Hammerfall.
Deutschsprachig, aber wesentlich härter ging es mit Nyktophobia weiter. Die melodische Death-Metal-Band um Frontmann Tomasz Wisniewski stellte ihr neues Album „To The Stars“ vor. Trotz einer leichten Verspätung und technischer Probleme zogen die Jungs ihre Show durch, während die Crowd zu Songs wie „Flight of the Phoenix“ und „Millennium“ ausgelassen feierte und sich erste Pits des Tages bildeten.
Mit Heldmaschine wehte ein energiegelader und brachialer NDH Sound über das Infield, welcher den Fans auch die letzten Anzeichen des Vortagskaters aus den Knochen presste. O´Reillys and the Paddyhats hatten den „irischen Sommer“ im Gepäck, denn über dem Gelände erging ein sintflutartiger Wolkenbruch hernieder. Den hartgesottenen Fans allerdings verdarb dies keinesfalls die Laune, sondern man tanzte im Regen zu „Green Blood“ und „Barrels of Whiskey“. Auch bei Massive Wagon und Bullet galt es noch den Naturgewalten zu trotzen. Und dann waren die Wikinger los. Vargs Corsepaint und Kriegsgebrüll kündigte eine epische Schlacht an und Odin gebot dem Regen Einhalt. Überraschend erfrischend die Präsenz der Sängerin Fylgja, welche nicht nur seit 2020 aktiv die Band gesanglich unterstützt, sondern auch gemeinsam mit Ehemann Philipp Seiler das Wolfszeit Festival organisiert.
Nicht jeder kann ein 40-jähriges Jubiläum feiern, aber Rage schon. Der Veteran Peter “Peavy” Wagner und sein halbneuer Kamerad Jean Bormann mussten ihre Show leider kürzer halten. Der Regen hatte sich über der Rockstage gesammelt und ergoss sich kurz vor dem Auftritt plötzlich auf die Bühne und das Bass-Equipment. Trotz schneller Eingreiftruppe blieben die technischen Schäden. Man versuchte, das Konzert nur mit Gitarre und Schlagzeug weiterzuführen, da Peters Bass keinen gescheiten Ton mehr von sich gab. Das Publikum blieb trotzdem, feierte und unterstützte Rage bis zum bitteren Ende.
Dynazty, die Powermetaller aus Stockholm, brachten nicht nur die Sonne zurück, sondern auch frischen Wind und großartigen Sound auf die Bühne. Die Energie und Bewegungsfreude der Band war ansteckend und begeisterte das Publikum, die ihrerseits das Infield ordentlich aufmischten. Obwohl das letzte Album „Final Advent“ bereits zwei Jahre alt ist, feierte das Publikum ausgelassen zu „Natural born Killers“, „Power of Will“ und „Heartless Madness“.
Mit „I Am“ haben Pain ein neues Album am Start, welches auch mit „Push the Pusher“ sogleich den Opener lieferte und hintergründig durch japanisch-futuristische Cartoons auf einer Videoleinwand untermalt wurde. Auch „Call me“ erhielt virtuell-visuelle Unterstützung durch Sabaton Sänger Joakim Broden. Mehrfach erfolgten Outfitwechsel, sodass man in diesem Jahr sogar Cowboys auf dem Rockharz zu sehen bekam.
The Halo Effect rundete das schwedische Triple ab. Für Liebhaber des Göteborg-Deathmetal stand mit dem Fronter, Mikael Stanne, Gründer der weltweit bekannten Band Dark Tranquillity, ein bekanntes Gesicht auf der Bühne. Der sympathische und talentierte Musiker lieferte eine großartige Show ab. Wer plant, ihn live zu sehen, wird niemals enttäuscht sein. Das dargebotene Repertoire basierte auf dem einzigen Album der Band sowie derer verschiedenen bisher veröffentlichten Singles.
Hatebreed schwangen im Anschluss energisch die Metalcore-Abrissbirne, verwandelten mit einem riesigen Ball das Infield in eine wilde Spielwiese und aktivierten ausgelassene Mosh- und Circlepits, welche trotz feuchtem Acker jede Menge Staub aufwirbelten.
Weiter ging die Köttbullar-Party 🙂 mit den Power-Metal-Legenden Hammerfall. Mit kurzweiligen Ansagen, kraftvollen Gitarrenmelodien und mitreißendem Schlagzeug zogen die Herren um Fronter Joacim Cans alle Register. Getreu der Aussage „Sorry, no slow dancing!“ gab man mit „Brotherhood“, „Hammer of Dawn“ und „Renegade“ ordentlich Gas, fackelte ordentlich Pyro in den Abendhimmel, sodass des Teufels Haupthaar ins Brennen geriet und erhöhte das Trainingsvolumen der Grabenschlampen, denn der Strom an Crowdsurfern nahm stetig zu. „Hearts on Fire“ bildete schlussendlich den krönenden Abschluss.
Thrash-Metal aus dem Ruhrpott: Kreator weckte für viele Kindheitserinnerungen. Mille Petrozza, zusammen mit seinem alten Kameraden Ventor aus ihrer damaligen thrashigen Band Tormentor, machten sich mit dem gewohnten Krach von Kreator bemerkbar. Donnernde Riffs hallten über das Infield. „Hate Über Alles“, „Phobia“ und die Menge tanzte und ließ die Nackenmuskulatur rotieren. Luftschlangen fanden bei „Enemy of God“ ihren Weg ins Publikum und das übliche Nosferatu-Maskottchen schwebte als Luftballon im Hintergrund. „Violent Revolution“ klang live genauso kraftvoll und fehlerfrei wie auf dem 2001er Studioalbum. Bei „Pleasure to Kill“ nahm man die Herausforderung an und entfesselte die größte Wall of Death des Tages. Für andere Fans wie mich, die sich etwas zu alt für solche Spielchen fühlten, blieb die Musik im Vordergrund.
Mit ordentlich Pyro, Kampfgebrüll und „Freiheit oder Tod“ enterten D’Artagnan die Bühne und zogen eine breite Anhängerschaft vor die Darkstage, welche die Helden frenetisch feierten, lautstark mitsangen und tanzten. Ihrem in Kürze erscheinenden Album vorausnehmend, gab es mit „Herzblut“ und „Mosqueteros“ kleine Appetizer. „Hey Brother“ beendete das Set und der letzte Staffelstab des Tages erging an Dominum, welche die Festivalbesucher mit Zombiparty in die Betten geleitete.
Freitag. Nachdem Defects bereits im Vorfeld ihren Auftritt canceln mussten, übernahmen Surgical Strike das Zepter, und bliesen dem geneigten Publikum mit einer brutalen Portion Trash Metal den Schlaf aus dem Gesicht. „24/7 Hate“ preschte dermaßen kraftvoll und aggressiv über das Infield und förderte den ersten Circleplit des Tages. Innerhalb der letzten Jahre haben die Niedersachsen ihren Sound perfektioniert und lieferten nun knackigen, präzisen Thrash, der die großen Genrevertreter aufhorchen lässt.
The Night Eternal überzeugten mit mitreißenden Riffs und epischem Old School-Heavy Metal, während League of Distortion mit ihrer Mischung aus Metalcore und Anna Brunners klarem weiblichen Gesang ordentlich Energie unter dem stetig wachsenden Publikum versprühten. Vogelfrey heizten anschließend die Stimmungsspirale mit „Nie wieder Met“, „Galgenvogel“ oder ihren Interpretationen von „How much is the Fish“ oder „Thunderstruck“ weiter an und verwandelten das Infield in einen riesigen Partykessel. Dieser wurde noch getoppt, durch einen wachsenden Mosh- und Circlepit, welcher durch Unearth ins Leben gerufen wurde. Deren Metalcore-Walze rollte mit „Endless“ oder „My Will Be Done“ unerbittlich über den Acker.
Mit den a-capella-Musikern von Van Canto erreichte das Bewegungspotential des Infieldes ein neues Level. Während der beeindruckenden Coverversionen von „Rebellion“ (Grave Digger) und „Wishmaster“ (Nightwish) flogen die Crowdsurfer den heute in Hawaihemd gewandeten Grabenschlampen nur so entgegen. Doch für Gänsehaut sorgte vor allem ihr Cover von Metallicas „Master of Puppets“. Einfach großartig.
Es folgten gleich zwei Nackenbrecher. Benediction sorgten mit ihrem klassischen Death Metal in seiner pursten Essenz für Begeisterung. Die Briten schafften es, generationsübergreifendes Publikum anzulocken. Auch wenn mir persönlich „Transcend the Rubicon“ im Repertoire fehlte, mit „Subconscious Terror“ überzeugten sie auch trotz suboptimaler Soundqualität. Dying Fetus stachelten mit ihrem druckvoll dargebotenen brachialem Grindcore immer wieder die Moshpits an, die Haarmähnen flogen im Wind und die Crowdsurfer ritten die schnellen Wellen, welche der „Fett aber lässig“ Grabenschlampenfraktion ein freudiges Grinsen ins Gesicht zauberte.
Während der Mutantenstadl anschließend der zentrale Anlaufpunkt der Fußballfans für die EM-Viertelfinalübertragung Deutschland : Spanien avancierte, legten auf der Dark Stage Unleash the Archers feinsten Power Metal aufs Parket. Mit einer unglaublichen Stimmintensität schmetterte Brittney Slayes „Abyss“, „Awakening“ oder „Tonight We Ride“ und die Instrumentalsektion beherzt in die Seiten griff und die Felle gerbte. Kissin´ Dynamite brachten nicht nur den Stadionrock zurück, sondern förderten so manch ausgelassenen Circlepit zu Tage und Fronter Hannes surfte selbst im Schlauchboot über die Crowd. Suicidal Tendencies legten mit ihrem Mix aus Trash, Metal und Funk noch eine Schippe drauf und entpuppten sich zudem als hyperaktive Bewegungsenthusiasten. Die Bühne schien gar nicht groß genug für Fronter Mike Muir und seine Mannen. Die Energie spiegelte sich auch im Publikum wieder, die ihrerseits Circlepits de luxe bildeten und die Fäuste in die Luft reckten. Ein wahrer Abriss! Amaranthe sorgten anschließend mit symphonischem Power Metal für eine willkommene Abwechslung. Ihr Sangestriple aus gutturalem und Klargesang rundete die Melodien wie „Viral“, „The Nexus“ und „Drop Dead Cynical“ perfekt ab und der Abend glitt mit einer leichten Brise langsam dahin.
Während die untergehende Sonne den Horizont küsste, wartete eine Horde Menschen neugierig und ungeduldig auf die Schotten Alestorm. Schon beim gewohnten TechnoIntro, kamen Party-Vibes auf. Die bierseligen Piraten erweiterten ihre Crew um Patty Gurdy, setzten Segel Richtung Eskalation und die Crowd heuerte erwartungsfreudig an. Letztere betrieb nicht nur intensives surfen, sondern feierte auch Songs wie „Hangover“ oder „Zombies Ate My Pirate Ship“ und ließ die in die Menge geworfenen Gummienten über das Infield tanzen.
Das heutige Sahnehäubchen setzten die Norweger Dimmu Borgir. Schon das Intro „For All Tid“ öffnete die Höllentore und weckte Erinnerungen an die gute Black-Metal-Szene der 90er. Es folgte ein Best-of durch die umfangreiche Diskografie, welches den Teufel von der Mauer lockte, das Infield fesselte und die schwarzen Herzen jubilieren ließ. “Kult” beschrieb die Show treffenderweise. Ein in Flammen gehülltes „Mourning Palace“ beendete das epische Spektakel opulent und gab dem dritten Festivaltag einen würdigen Abschluss.
Samstag. Holy Shit. Nun war doch tatsächlich der vierte und somit letzte Festivaltag angebrochen und uns erwarteten Sonne, hitzige Temperaturen und Nakkeknaekker. Letztere zelebrierten eine imposant, brachiale Oldschool Death Metal Dusche, die jegliche Müdigkeit aus den Knochen prügelte. Hier war nicht nur kollektives Headbangen ein Muss, Fronter Christoffer Kofoed initiierte auch die erste Wall of Death des Tages. Parasite Inc. kamen wesentlich melodischer und mit Metalcore Elementen daher, hielten aber das ganzheitliche Fitnessbewegungslevel des Publikums ebenfalls hoch.
Storm Seeker steuern ihr Schiff mit eingängigem Folk Metal, Mitsinghymnen und einer unbändigen Energie aus dem Infield. Oh ja, auch ich konnte schon das Bier am Rande der Bühne sehen, welches auf die durstigen Bandmitglieder wartete. In diesem Sinne: „Prost, ihr Säcke“ und die einzig passende Antwort, ein lautstarkes „Prost, du Sack“
Die deutschen Metaller Knife begeisterten uns mit ihrem Blackened Speed Punk. Mit Stacheln und Old-School-Outfits vermittelten die jungen Marburger den Eindruck, als wären die achtziger Jahre noch nicht vorbei. Noch weiter in die Zeit zurück bis hin ins 19. Jahrhundert entführten uns Coppelius. Ihr Rock/Power Metal dargeboten in Form eines Theaterstücks mit Kontrabass, Cello und Klarinette stellte die experimentellste und interessanteste Fusion auf dem Rockharz dar. Während Mystic Prophecy noch mit ordentlich Power Metal das Infield überzogen, nahm der Himmel ein Untergangszenariograu an und über die Teufelsmauer und den Brocken herkommend, rollte eine mächtige Sturm- und Gewitterfront auf das Festivalgelände zu.
Immer die Unwetterentwicklungen, aber vor allem die Sicherheit aller Anwesenden im Blick, erging erstmalig in der Geschichte des Rockharzes die Räumungsansage für das Infield inklusive der Empfehlung in den Fahrzeugen Schutz zu suchen. Während die Auftritte von Nestor, Avatarium und Draconian den unabwägbaren Wetterkapriolen zum Opfer fielen, wurde am frühen Abend ohne weitere Zwischenfälle das Gelände und die Bühne für Orden Ogan wieder freigegeben. Sie vertrieben auch sogleich mit kurzweiligen Ansagen und Publikumseinbindung die noch in den Knochen verbliebene Nässe, hatten ihr vortägig veröffentlichtes Album „The Order of Fear“ im Gepäck und brachten wieder gehörig Bewegung auf den Acker. Soilwork gaben ebenfalls richtig Gas und die Meute feierte als gäbe es kein Morgen.
Nach Thomas Lindners überstandener Krebserkrankung stand er nun gemeinsam wieder mit Schandmaul auf der Bühne. Auch wenn seine Stimme aktuell durch die Behandlung und Bestrahlung noch nicht wieder hergestellt war, so ließ er es sich nicht nehmen seine Finger über die Gitarrenseiten gleiten zu lassen. Seine Gesangsparts übernahmen sein Vocalcoach Marco Klingel sowie Alea der Bescheidene von Saltatio Mortis. Aber auch das Publikum gab sich beim „Hexeneinmaleins“, „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ oder dem immer wieder aktuellen „Bunt und nicht braun“ gewohnt textsicher und gaben einen voluminösen Backroundchor.
„The Priest is back!“ Oh ja, und wie sie das sind. Ihr Album „Invincible Shield“ stieg auf Anhieb auf Platz 1 der deutschen Charts ein. So sorgte auch die Ankündigung Judas Priests als Rockharz Headliner für Schnappatmung und höher schlagende Metallerherzen, dementsprechend voll gestaltete sich auch das Infield zu bester Sonnenuntergangszeit. Nachdem die Band zum „Invincible Shield Tour Anthem“ die Bühne eroberte, entfesselte auch schon der Opener „Panic Attack“ jegliche Energiereserven und ließ die Fans rhythmisch die Fäuste in die Höhe strecken und das Haupthaar im Wind rotieren. Gut 80 Minuten episches Heavy Metal Gedonner durch 50 Jahre Bandgeschichte folgten und verwandelten den heiligen Acker in einen brodelnden Hexenkessel. „Devils Child“, „Breaking The Law“ oder der Titeltrack des aktuellen Albums „Invincible Shield“, Rob Halfords Töne saßen punktgenau, die Saiteninstrumentalisten griffen beherzt in selbige, während Travis Scott mit einer inspirierenden Vehemenz die Drums bearbeitete. Die Massen feierten jeden Song lautstark, wie textsicher und meisterten auch die Mitsingspielchen des charismatischen Fronter. Ein episches Spektakel, welches mit „Hell Bent For Leather“ und „Living After Midnight“ sowie Halfords Einfahrt mit der Harley auf die Bühne und seinem Dank „Thank you for keeping the Heavy Metal faith – we are JUDAS f***ing PRIEST. We will be back!“seinen Höhepunkt erklomm.
Nach den Legenden aus Birmingham folgte die Danksagung von Veranstalter Thorsten „Buddy“ Kohlrausch im Kreise der versammelten Rockharz Crew mit emotionalen Worten an die Crews, Techniker und alle Helferlein vor, hinter und auf der Bühne und rund ums Festival, aber auch an das immer wieder geile Publikum, welches wie immer friedlich gemeinsam die Festivaltage zu etwas besonderem machten.
Hypocrisy leiteten anschließend das Abgesangstriple des Festivaltages ein und bereits der Opener „Fractured Millennium“ war eine Apotheose für die Hypocrisy-Liebhaber. Die gute Soundqualität und die fehlerfreie Performance aller Mitglieder waren meisterhaft, was wohl den Skandinaviern in die Wiege gelegt zu sein scheint. Lordi hingegen luden zur Hard-Rock-Gruselshow rund um „Dead Again Jayne“, „Would You Love A Monsterman“ und „Hard Rock Halleluja“ ein, während schlussendlich Fauns nordisch, mystische Klänge über das Infield hallten und das diesjährige Rockharz abschlossen.
Wie immer vergingen die Tage im Flug und bargen Kurzweil pur. Unser Dank gilt den Organisatoren und dem gesamten Rockharz-Team, die ihr Jahr für Jahr ein abwechslungsreiches Line-Up bündelt und den Weg und die Herausforderungen in Bezug auf Inklusion nicht scheut. So erfuhr das Camp für beeinträchtigte Menschen eine weitere Vergrößerung, ausgelegten Rollifahrbahnen erleichterten die Fortbewegung, zudem lag der diesjährige Focus unter anderem im verbesserten Zugang für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und der Installation eines festivaltauglichen Blindenleitsystems. Chapeau! Hier ist auch noch einmal das Crowdfundingprojekt “Kultur für Alle” zu erwähnen, die sich über Hilfe freuen. https://www.gofundme.com/f/kultur-fur-alle
Wir sehen uns wieder, wenn der Teufel aufsteigt um sein Höllenfeuer zu schüren, das Brockenhexchen statt des Besens, lieber die Crowdsurferwelle reitet und der heilige Acker bebt. So ist mit dem 02. – 05. Juli 2025 das nächste Datum bereits gesetzt, die ersten Bands bekannt und der Ticketverkauf für das kommende Jahr sorgte bereits für einen neuem „Sold out“ Rekord.
Text: Helga Königshügel